Sich aufzuregen, kann krank machen. Besser also, man lässt es oder hat wenigstens gute Gründe. Momentan ist dort, wo politisch Veränderung angestoßen oder verordnet wird, oft die Rede von Verboten und Eingriffen in die persönliche Freiheit. Die Aufregung ist groß und das Wohlbefinden der erregten Gemüter leidet. Darum prüfe stets: Ist es das Wert?
Aufregung kann - zusammen mit anderen Stressoren - die Gesundheit gefährden, sogar zum Herzinfarkt führen. Wer meint, ungerecht behandelt zu werden, reagiert sehr wahrscheinlich mit Ärger. Menschen geraten in Rage, weil sie ihre Freiheit in Gefahr sehen und Verbote beklagen. Ein geeignetes Beispiel für Ärger-Prophylaxe.
Bekanntermaßen spielen unbewusste Überzeugungen in unserem Gefühlsleben und Verhalten eine bedeutsame Rolle. Wer kennt es nicht, bei bestimmten, gewohnten und zugleich verhassten, Äußerungen unmittelbar "anzuspringen"?! Wir reagieren dann automatisch, so schnell ist kein bewusster Gedanke. Manchmal braucht es aber Minuten, um sich wieder zu beruhigen, und in dieser Zeit entwischt auch mal ein Satzbaustein, den man später gern wieder einfangen würde. Das muss nicht sein. Glücklicherweise kann man hier zum Selbstschutz ein mentales Stopp-Schild einbauen.
Innehalten und dann was? Nun ja, da wir in der Lage sind, uns an die Stelle anderer zu denken, können wir die Perspektive wechseln. Wozu? Um sicher zu gehen, dass wir uns nicht fälschlich oder umsonst aufregen. Das wäre der Fall, wenn wir mit großem Groll und Eifer etwas verteidigen würden, das uns bei näherer Betrachtung gar nicht mehr wichtig wäre oder zumindest nicht so wichtig, als dass wir bereit wären, den Preis (die Konsequenzen für mich und andere) dafür zu zahlen.
Freiheit ist ein elementares Gut, für das viele Menschen ihr Leben gelassen haben, wovon wir heute profitieren. Dies ist sicher kein Plädoyer gegen ein Eintreten für die eigenen Überzeugungen. Aber eben für ein gesundes Eintreten und bewusst gewählte Überzeugungen. Wie wäre eine schützende kleine Bilanz vor dem Gefühlsausbruch? Zum Thema Freiheit bietet die Philosophin Eva von Redecker* ungewohnte Perspektiven an.
Was wir unter Freiheit verstehen, hat mit den Bedingungen zu tun, gegen die wir sie verteidigen. Vor dem Hintergrund von Sklaverei etwa geht oder ging es naturgemäß vor allem um die Behauptung gegen Fremdbestimmung. Ist es eigentlich das, was wir auch hier und heute vorrangig mit Freiheit verbinden wollen?
Freiheit wird historisch bedingt oft räumlich gedacht. Meine Freiheit ist so groß wie mein Grundstück, auf dem ich tun und lassen darf, was ich will. Wenn ich über Freiheit nun räumlich denke, als etwas, das bis zur Freiheit anderer reicht, bin ich immer auf eine Grenze fixiert. Alles ist dann entweder meine oder deine Freiheit. Was aber, wenn sich meine wirklich relevanten, existentiellen Freiheiten nicht gegen, sondern nur gemeinsam mit anderen verwirklichen lassen? Wie muss ich Freiheit dann verstehen?
Wie würde ich über den Wert von Bewegungsfreiheit (Niemand darf etwas tun, das mich davon abhielte, zu jeder Zeit und mit jedem Verkehrsmittel zu reisen, wohin ich will) denken, wenn mein Haus auf Sylt in unmittelbarer Wassernähe stünde? Hätte dann für mich eher eine "Freiheit zu bleiben"* (Niemand darf etwas tun, das mich davon abhielte, in meinem Haus und in meiner Heimat zu bleiben) Bedeutung?
Unsere Lebenserwartung hängt - neben anderen Faktoren - statistisch von unserem Wohlstand, von der Umwelt, in der wir leben (v.a. saubere Luft und sauberes Trinkwasser) und von den Bedingungen ab, unter denen wir arbeiten**. Während es aber ein Recht auf materielles Eigentum gibt, haben wir kein Recht auf "Zeiteigentum". Wenn wir dauerhaft Feinstaub und/oder Stickstoffdioxid ausgesetzt sind und unser Leben früh aufgrund einer Atemwegserkrankung gefährdet ist - wie denken wir dann darüber, dass uns zwar niemand Haus und Auto ungeahndet wegnehmen darf, Lebenszeit aber schon?
Ein Perspektivwechsel erinnert daran, dass ein Konzept wie Freiheit komplex ist und irren menschlich. Lassen wir uns zwischen Wahrnehmung und Reaktion etwas Zeit, so bewahrt uns das vor unnötiger Aufregung. Schließlich haben wir die Freiheit, unsere Energie umsichtig zu investieren. Bleiben Sie gesund!
*Eva von Redecker (2023): Bleibefreiheit. S. Fischer.
**https://www.quarks.de/gesundheit/wie-schaedlich-ist-stickstoffdioxid-wirklich/
Danke für den tollen Beitrag!!