Das Thema Krieg ist derzeit allgegenwärtig. Kinder können nicht beurteilen, ob sie und ihre Familien dabei auch selbst direkt bedroht sind. Aber ist es eine gute Idee, mit Kindern das Gespräch über Krieg zu suchen?
Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Unicef (United Nations Children’s Fund) und das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sagen ja. Sie plädieren dafür, dass Eltern ihren Kindern im Gespräch helfen, Begriffe und Bilder vom Krieg einzuordnen und geben Hinweise dazu, wie man das am besten tut. Zusammengefasst lauten diese:
1. Erklären, was passiert
"Die meisten Kinder merken, dass etwas passiert, was die Erwachsenen in Sorge versetzt und ängstigt. Nichts ist schlimmer, als die Kinder ihren Phantasien zu überlassen, denn wenn sie keine Erklärung bekommen, blühen die Phantasien und Ängste." (Schlüter-Müller, UNICEF)
Nachrichten oder Gesprächsfetzen zu Krieg, Tod, Trennung, Heimatlosigkeit und Entsetzen können sich bei Kindern verselbständigen und zu starker Angst führen, wenn sie damit allein gelassen werden. Wir sollten Krieg erklären, statt ihn der kindlichen Phantasie zu überlassen, so Susanne Schlüter-Müller von UNICEF Deutschland. Erklären heißt, zu sagen, was das Wort "Krieg" bedeutet (z.B. Streit und Gewalt zwischen Ländern bzw. Staaten), welche Länder betroffen sind, dass es immer wieder irgendwo auf der Welt Kriege gibt, worum es dabei meist geht und wie versucht wird, sie zu beenden und zu vermeiden. Wir sollten Kinderfragen ernst nehmen und sachlich beantworten. In einer Sprache, die zum Alter und Entwicklungsstand des Kindes passt. Helfen können dabei auch kindgerechte mediale Angebote, z.B. Seitenstark(BMFSFJ), Kindernachrichten des NDR, die Maus (WDR) oder Logo! (ZDF).
"Die Wahrheit muss aber unbedingt dem Alter, also der kognitiven und somit emotionalen Bewältigungsmöglichkeit der Kinder angepasst werden." (Schlüter-Müller, UNICEF)
2. Über Gefühle sprechen - aber angemessen
Kinder müssen den Umgang mit Gefühlen noch lernen. Wir helfen ihnen dabei, indem wir vorleben, wie das geht. Etwas vorzuleben, das maßgeblich innerpsychisch abläuft, setzt allerdings Kommunikation voraus. Und die Bereitschaft, über Gefühle und den eigenen Umgang damit offen zu reden. Dafür lassen sich alltägliche Anlässe nutzen wie zum Beispiel die Begegnung mit einer Spinne: "Fürchtest du dich vor der Spinne? Das tun ja echt viele Menschen. Aber wusstest du, dass es bei uns hier in Nordeuropa gar keine giftigen Spinnen gibt? Vor etwas Furcht zu haben, das eine wirkliche Gefahr darstellt, macht Sinn. Furcht sorgt im Körper dafür, dass wir besser reagieren können. Unsere Konzentration nimmt zu und wir können schnell weglaufen oder uns in Windeseile verstecken. In diesem Fall hier aber hat nur die Spinne Grund, sich zu fürchten."
Zum Thema Krieg könnte man entsprechend sagen: "Wenn ich die Bilder zum Krieg in den Nachrichten sehe, ist das in dem Moment auch für mich beängstigend. Aber dieser Krieg findet nicht bei uns, sondern zwischen zwei anderen Ländern statt und viele Menschen, z.B. Politiker, bemühen sich derzeit um ein möglichst schnelles Ende. Mehr als um uns hier sorge ich mich um die Menschen, die durch den Krieg alles verlieren, was ihnen gehört hat, ihr Land verlassen müssen oder sogar getötet werden. Das tut mir sehr leid und macht mich traurig. Ich denke, wir hier müssen uns im Moment nicht fürchten. Was wir aber tun können, ist, gemeinsam zu überlegen, ob auch wir irgendwie helfen können. Bist du daran interessiert?".
"Du hast Bilder von kaputten Häusern und Autos gesehen? Was war auf den Bildern noch zu sehen? Erzähl mal. Wie hat sich das angefühlt? Hast du Angst? Lass uns doch mal gemeinsam sehen, ob du dich fürchten musst."
Mit älteren Kindern oder Jugendlichen lassen sich selbstverständlich auch das Konzept Krieg allgemein oder die politischen Zusammenhänge in der Ukraine konkret kritisch erörtern. Mit jüngeren Kindern schlägt das BMFSFJ vor, Bilder zu malen. Indem wir mit Kindern im Gespräch und/oder im Handeln aktiv werden, können wir ihnen helfen, ihren Gefühlen Ausdruck zu geben und Spannung abzubauen. Leben wir ihnen einen konstruktiven Umgang mit Krisenthemen vor, der vor Ohnmacht, Hilflosigkeit und Ängsten schützt.
3. Sicherheit vermitteln
Wir haben nun erklärt, was Krieg ist und was konkret gerade passiert. Wir haben über unsere Gefühle zu diesen Geschehnissen gesprochen und vielleicht zusammen ein Bild gemalt, etwas für Kriegsflüchtlinge gespendet oder sogar jemanden bei uns aufgenommen. Genügt das, um Kindern Sicherheit zu vermitteln, oder wissen sie jetzt nur genauer, wovor sie Grund haben, sich zu fürchten?
"Auch wenn man als erwachsene Person selbst in Sorge ist und sich hilflos fühlt, sollte man versuchen, Kindern in dieser Situation ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln" (Schlüter-Müller, UNICEF).
Der kognitive Psychologe Rüdiger Pohl sagt, Kinder können mit Herausforderungen - ob Pandemie, Krieg oder Armut - in dem Maß umgehen, in dem sie sich bei ihren Eltern bzw. in ihrem direkten Umfeld sicher und geborgen fühlen. Versichern wir doch unseren Kindern, dass sie, welche Krise auch immer kommen mag, damit nicht allein sein werden. Betonen wir zum Beispiel, dass sehr viele Länder daran interessiert und beteiligt sind, zu Frieden beizutragen. Äußern wir eher etwas mehr Zuversicht als zu wenig gegenüber Kindern. Das bedeutet nicht, in der Sache die Unwahrheit zu sagen! Es bedeutet aber, bei der eigenen Bewertung einer Situation gegenüber Kindern nicht den Teufel an die Wand zu malen!
"Egal wie schlimm es ist, wir halten zusammen und stehen das gemeinsam durch." (Pohl 2007)
Im Übrigen ist es wichtig, zu betonen, dass die Lösung solcher Probleme nicht die Aufgabe von Kindern ist.
4. Nicht pauschalisieren
Schlüter-Müller empfielt ferner, bei kleineren Kindern keine konkreten Länder oder Namen von Kriegsakteuren zu nennen. Es könne zu pauschalen Zuschreibungen und in Folge zu Aggressionen kommen. In der Tat ist es kontraproduktiv, Kindern eine unterkomplexe Feind-Freund-Sicht zu vermitteln, die sich dann womöglich auf dem Schulhof bahnbricht. Gegen ungerechtfertigte Gewalt lässt sich begründet Stellung beziehen, gegen Menschen allein aufgrund ihrer Nationalität ganz sicher nicht.
Krisen geben Anlass für Gespräche über große Lebensthemen. Auch Krieg im Nachbarland ist eine solche Krise, aus der Kinder Orientierung im Leben ziehen können. Darüber mit Kindern (spätestens ab dem Schulalter) und Jugendlichen nicht ins Gespräch zu kommen, hieße, zu ignorieren, was uns Menschen existentiell umtreibt und berührt. Ein offener Austausch, in welchem sich die Erwachsenen auch für die Fragen und Sichtweisen der Kinder interessieren, ist förderlich für alle Beteiligten und vertrauensvolle Beziehungen miteinander.
Pohl, Rüdiger (2007): Das autobiographische Gedächtnis: Die Psychologie unserer Lebensgeschichte. Kohlhammer.
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