
Wenn auch gute Entscheidungen keine glückliche Fügung garantieren (siehe letzter Beitrag), wozu dann der Aufwand? Warum nicht würfeln, Entscheidung delegieren oder schlicht dem erstbesten Impuls folgen?
Auch eine wohl überlegte Entscheidung kann sich im Nachhinein als unglücklich herausstellen. Die Zukunft ist ungewiss, hinterher ist man schlauer und selten lässt sich die beste Option mathematisch präzise und sicher ermitteln. Unsicherheit bleibt also mit im Spiel. Das heißt aber gerade nicht, dass wir ihr ohnmächtig ausgeliefert sind. Gutes Entscheiden bedeutet vielmehr, Unsicherheit zu managen.
Gutes Entscheiden bedeutet, Unsicherheit zu managen
Im Alltag tun wir das ständig: Ob das angekündigte Blitzeis kommt oder nicht, wir planen die Dinge so, dass wir mit und ohne Eis die wichtigsten Dinge erledigt bekommen. Vielleicht verschieben wir das Lauf-Date und strukturieren den Tag neu, um Risiken (Unfallgefahr durch Glätte, Verspätungen im Nahverkehr, Ausfall von Meetings etc.) gering zu halten. Unsicherheitsmanagement, wie es im Coaching-Sprech heißt, meint, Risiken zu erkennen (bei komplexen Entscheidungen ist das nicht so trivial wie bei Glatteis), sie zu bewerten und Lösungen für den Umgang mit ihnen zu finden. Verhindern können wir nicht, dass manches anders läuft, als wir es uns wünschen, aber vorbereitet können wir sein. Mehr geht nicht.
Gutes Entscheiden bedeutet Klarheit
Um gut zu entscheiden, ist es nicht nur hilfreich, die Risiken zu kennen, sondern sich überhaupt Überblick zu den entscheidungsrelevanten Fragen und Fakten zu verschaffen: Worum genau geht es? Was muss ich wissen und wovon will ich meine Entscheidung abhängig machen? Welche Perspektiven will ich kennen und wessen Interessen berücksichtigen?
Die klärende Beschäftigung mit einer Entscheidungsfrage kann durchaus kreative Lösungen befördern, die sich plötzlich auftun. Leicht muss eine Entscheidung dennoch nicht fallen. Stattdessen kann sich nun überdeutlich zeigen, welche unerwünschten Konsequenzen die Optionen jeweils mit sich bringen. Das mag der Grund sein, weshalb wir manche Entscheidungen gern aufschieben. Nur ändert wegsehen oder aufschieben daran nichts. Klarheit hingegen birgt Vorteile: (1) Eine Entscheidung, um die wir gedanklich gerungen haben, müssen wir nicht am nächsten Tag wieder in Zweifel ziehen. Wir kennen die Pros und Kons und wissen, es käme nichts Neues dabei heraus.** (2) Wir sind nun wunderbar in der Lage, nicht nur uns selbst, sondern bei Bedarf auch anderen die Gründe für unsere Entscheidung zu erläutern. (3) Wir wissen um die entscheidungsrelevanten Kriterien. Sollte sich daran etwas ändern, können wir entsprechend nachjustieren (wenn die Grundstückspreise über X steigen, dann...). Und schließlich, (4), zahlt Klarheit auf unser Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle ein. Das ist gut fürs Wohlbefinden(Grawe).
Gutes Entscheiden ist im Einklang mit den eigenen Bedürfnissen, Werten und Zielen
Wer über den Weg entscheiden will, muss das Ziel kennen, das ist so einfach wie logisch. Wer gut entscheiden will, hat also besser im Blick, was im eigenen Leben vorkommen soll. Was man erleben und erreichen will. Wie, wo und mit wem man Phasen seines Lebens verbringen will. Und aus welchen Gründen, welche Werte realisierend, man dies will: Weil es gut tut, weil es ein Anliegen darstellt oder weil man ein Mensch sein möchte, der diese Dinge tut? Auch einigermaßen mit sich selbst im Einklang zu sein, fördert das Wohlbefinden (-> Konsistenttheorie nach Grawe).
Gutes Entscheiden integriert Intuitionen
Und was ist denn nun eigentlich mit der sogenannten inneren Stimme, der Intuition? Welche Rolle spielt sie bei der Entscheidungsfindung? Intuition, von mittellatein. „unmittelbare Anschauung“, bedeutet soviel wie unmittelbares, ganzheitliches Erkennen oder Erfahren von Sachverhalten (vgl. Mamin 2020). Diese körpereigenen Hinweise, die wir spüren und fühlen, können uns in Gefahrensituationen das Leben retten. Aber sollten wir uns bei jeder Entscheidung auf unsere Intuition verlassen?
Intuitionen sind schnell und meist deutlich, aber sie liefern leider keine Begründung mit. Wir wissen nicht, worauf sie beruhen. Was mache ich zum Beispiel, wenn mir meine Intuition sagt, ich sollte die Einladung von der Person, die ich gerade in dieser stylischen Bar kennengelernt habe, nicht annehmen? Was tun, Intuition befolgen oder ignorieren?
Dass Intuitionen schnell sind und nur Plus und Minus kennen, bedeutet nicht, dass wir in jeder Situation, in der sich die körpereigenen Reaktionen bemerkbar machen, auch unmittelbar reagieren müssen und nur zwei Optionen haben.
Wenn nicht gerade jemand mit einem Messer vor mir steht, kann ich die innere Stimme durchaus wahrnehmen und mich fragen: Was kann mir hier passieren, wenn ich der Einladung folge? Was ist hier komisch, unangenehm, undurchschaubar? Vielleicht ist dann erstmal ein Kaffee am nächsten Mittag die bessere Wahl und ein stimmiger Kompromiss zwischen Annäherung und Vermeidung.
Wir müssen unseren Intuitionen nicht automatisch folgen, aber es kann hilfreich sein, das Risiko zu überschlagen und zu bewerten, ehe man sich entscheidet. Intuitionen blind nachzugeben, kann aber auch bedeuten, den eigenen Interessen längerfristig zu schaden. Meidet man zum Beispiel Situationen, die als Kind einmal unangenehm oder gefährlich waren oder wirkten, ohne die Ursachen dafür zu prüfen, bleibt man in diesem Verhaltensmuster vielleicht gefangen, weil man es mit jedem Vermeiden erneut bestätigt und damit den Zusammenhang neuronal festigt.
In vielen Entscheidungssituationen geht es nicht um Zehntelsekunden. Dann können wir unsere Intuitionen ergründen und auf diese Weise in die Entscheidung einfließen lassen.
Und übrigens: Entscheiden muss nicht lästig sein: https://www.petersen-psychotherapie-hamburg.de/entscheidungsfindung
*Vorheriger Beitrag: Was eine gute Entscheidung nicht ist.
Cyrill Mamin, Erkenntnistheoretiker, Uni Jena, Institut für Philosophie (2020): "Was ist Intuition? Grundlagen zu einem umfassenden Intuitionsverständnis." Intuition und Erkenntnis. Brill mentis. S. 35-79.
**Das gilt nicht für Grübeln/Rumination. Ist auch nach einem längeren und intensiven Prozess keine Entscheidung möglich, liegt es möglicherweise nicht am Entscheidungsprozess, sondern an unbewussten Denkmustern.
Grawe, Klaus (2004): Neuropsychotherapie. Hogrefe: Göttingen, S. 186ff., https://de.wikipedia.org/wiki/Konsistenztheorie_von_Klaus_Grawe
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