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THE MIXED EMOTIONS OF DANKBARKEIT

Aktualisiert: 8. Nov. 2021



Dankbarkeit wird einerseits mit psychischer Gesundheit, andererseits mit Schuld und Verpflichtung assoziiert. Ist Dankbarkeit für unser Wohlbefinden eine gute Idee?


Dankbarkeit*, darauf verweisen mehrere Studien, wirkt sich positiv aus auf Therapieverläufe (Freund/Lehr 2020: 50ff.), Wohlbefinden und Resilienz (Thillmann/Jansen 2020: 171ff.). Dankbare Menschen sind demnach zufriedener als andere und verfügen über stabilere soziale Beziehungen (z.B. Watkins et al.: 2003). Die Erklärung liegt zunächst auf der Hand: Dankbarkeit geht mit positiven Gefühlen einher*. Wir freuen uns. Über das, wofür wir dankbar sind. Oder über die Tatsache, dass uns jemand gewogen ist. Denn die Gabe ist für die beschenkte Person auch eine Geste, die sagt „Ich mag dich“, „ich finde dich gut“ oder „du hast es verdient“. Dankbarkeit scheint ein geeigneter Kandidat dafür zu sein, unser Wohlbefinden zu steigern, weil sie offenbar auf unsere Grundbedürfnisse Lustgewinn (die Gabe selbst), Bindung („ich mag sie/ihn auch“) und Erhöhung von Selbstwert („ich werde gesehen/gemocht/anerkannt“) einzahlt. Wer sich gewohnheitsmäßig auf das konzentriert, für das sie oder er jemandem dankbar sein könnte – und damit auf das eher Positive im Leben – fühlt sich schlicht besser als andere. Soweit - so nachvollziehbar.

In einer Überblicksstudie aus diesem Jahr kommen die Autor:innen zu dem Schluss, dass es in der Forschung "ernsthafte Meinungsverschiedenheiten" darüber gebe, wie Dankbarkeit zu bestimmen sei, und dass dieser "Mangel an Bestimmtheit" der Theorieentwicklung schade (Gulliford et al., 2021:196). Die zugrunde gelegten Konzepte von Dankbarkeit unterscheiden sich der Untersuchung zufolge in vielfacher Hinsicht. Für den Zusammenhang zwischen Dankbarkeit und Wohlbefinden scheint dabei ein Aspekt zentral zu sein: Das Thema Verpflichtung (vgl. ebd.: 191).

Dankbarkeit ist die Mutter aller Tugenden (Cicero)

Dankbarkeit galt bereits vor geraumer Zeit dem einen als "Mutter aller Tugenden" (Cicero), während der andere (Aristoteles) Dankbarkeit als Schwäche sah: wahrhaft großzügige Menschen seien selbstgenügsam und lehnten gegenseitige Verpflichtungen ab (vgl. ebd.: 193, 171). Verpflichtung bzw. Verbindlichkeit gelten als negative Facette von Dankbarkeit (vgl. ebda). Aber entspricht das unserer Intuition? Würden wir Dankbarkeit als angemessene Reaktion auf etwas verstehen, für das wir den Preis zahlen müssen? Wenn die Worte "eine Hand wäscht die andere“ ausdrücken, dass bei nächster Gelegenheit ein Ausgleich erwartet wird? Das klingt eher nach einem Deal und entspricht nach dem Begriffsverständnis von Freund & Lehr gerade nicht Dankbarkeit. Dankbarkeit verstehen sie als Kognition, welche die folgenden drei subjektiven Bewertungen umfasst: Die beschenkte Person findet, dass die Gabe für sie positiv ist, dass der Gebende es gut mit ihr meint und dass der Empfang der Gabe für sie keine Verpflichtung bedeutet (vgl. Freund & Lehr, 2020: 33f.). Nach dieser Definition ist jemand, der den Nudelauflauf der Nachbarin oder die rostige Gartenschere von gegenüber nur aus Höflichkeit angenommen hat und sich nun verpflichtet sieht, der kommenden Bitte - was immer diese sei - zu entsprechen, nicht dankbar. Was nicht heißt, dass er sich, um nicht undankbar zu erscheinen, nicht trotzdem bedankt. Und sich daraus keine gute Nachbarschaft entwickeln kann.

Dankbarkeit ist eine Schwäche: wahrhaft großzügige Menschen sind selbstgenügsam und lehnen gegenseitige Verpflichtungen ab (Aristoteles)

Die Frage hieß nun, ob Dankbarkeit für unser Wohlbefinden eine gute Idee ist, also etwas, das man jemandem raten könnte. Der Nudelauflauf-Transfer samt enthaltener Verpflichtung legt dies nicht unmittelbar nahe. Was besagt der flüchtige Blick auf das Geben und Nehmen im Allgemeinen? Vergleichsweise geizige oder einfallslose Gaben ernten meist wenig Dankbarkeit. Aber auch große oder teure Geschenke kommen nicht zwangsläufig gut an. Sie lassen sich als Mittel interpretieren, die eigene Person herauf- und die beschenkte Person herabzusetzen. Und schließlich geben auch Gaben, die falsche Wünsche suggerieren oder die Präferenzen von Adressat:innen karikieren („Du magst es doch schräg!“), wenig Anlass zu Dankbarkeit. Unangemessen Beschenkte empfinden nicht Freude oder Zuneigung, sondern im Gegenteil Ärger („die lässt mich wie einen Depp aussehen!“), Scham („Ist schon peinlich, dass ich mir so etwas selbst nicht leisten kann“) oder Niedergeschlagenheit („Ich bin eben nicht mehr Wert als das hier“).

Auf der gebenden Seite kann also einiges schiefgehen im Hinblick auf Dankbarkeit. Wie sieht es nun mit der nehmenden Seite aus? Liegt es vielleicht auch an der beschenkten Person, wenn es nicht zu Dankbarkeit und damit auch zu keinem gesteigertem Wohlbefinden kommt? Einerseits ja: Wer eine verzerrte Sicht auf die schenkende Person, die Beziehung zu ihr oder sich selbst hat und sich infolgedessen von Geschenken immer und grundsätzlich gedemütigt oder übermäßig verpflichtet fühlt, ist zu Dankbarkeit schlicht nicht fähig. Das mit einem Geschenk ausgedrückte Wohlwollen und überhaupt das Positive, Schöne darin, beschenkt zu werden, wird auch dann nicht als solches bewertet, wenn es gut gemeint ist. Insofern lässt sich Dankbarkeit auch als Fähigkeit verstehen, die man sich aneignen kann, z.B. im Rahmen einer Therapie (vgl. Freund/Lehr 2020: 93ff.). Andererseits: Argumentieren lässt sich auch dafür, dass nicht jede Person, die in Schenken und Beschenkt-Werden eher ein Problem denn pure Freude sieht, ein emotionales Problem hat: Je subtiler die individuelle Bedürfnislage, desto schwieriger das Schenken. Und - damit zurück zur Verpflichtung - was ist weniger spaßig: der moralische Druck, dankbar sein zu sollen, oder das Bewusstsein, einen mühsamen reziproken Usus in alle Ewigkeit fortsetzen zu müssen? Offenbar lässt sich bislang nur festhalten, was nicht überrascht: Wenn wir von jemandem, der es gut mit uns meint, etwas bekommen und darin keine Verpflichtung, sondern eben dieses Gute sehen, dann trägt das vermutlich zu unserem Wohlbefinden bei. Wobei Dankbarkeit eben schwierig zu haben ist, weil der erforderliche Gütertransfer im Hinblick auf das Verhältnis zwischen den Akteur:innen Risiken birgt. Aber wie ist sieht es denn aus mit Dankbarkeit, für die es keinerlei Adressat:innen gibt?

Kann man auch dankbar sein, ohne dass sich die Dankbarkeit an jemanden richtet?

Bisher ging es um die sogenannte "triadische" Dankbarkeit: A ist B dankbar für X. Während es bei triadischer Dankbarkeit eine schenkende oder gebende Person gibt, fehlt diese in der „dyadischen“ Form: A ist dankbar für X (vgl. Freund/Lehr 2020:19f.). Eine Formulierung mit spiritueller oder metaphysischer Konnotation. Statt "Ich bin dankbar für den Lippenstift Farbe 026“ denkt man eher "Ich freue mich über...". Dyadisch dankbar ist man stattdessen für die „großen Dinge“, die eher außerhalb der eigenen (Konsum-)Macht liegen. Und möglicherweise wird ja doch ein(e) Adressat:in implizit mitgedacht. Dankbarkeit war und ist etwa im christlichen Sprachgebrauch präsent. Dankbarkeit für das eigene Leben oder das Gute darin wird an die Instanz gerichtet, der man diese Güter zu verdanken glaubt. Das wird wohl auch erwartet: „Seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Jesus Christus für euch“, „Lasst nicht nach im Beten; seid dabei wachsam und dankbar!“ (Lutherbibel). Der Preis für "alle Dinge" soll die Dankbarkeit selbst sein. Ob das als Verpflichtung oder Ermunterung verstanden werden soll, ist ein weites Feld.

Ist Dankbarkeit etwas anderes als die Bereitschaft, sich zu freuen, wann immer man dazu Anlass hat?

Aber man muss ja auch keine Adressat:innen unterstellen. Nehmen wir dyadische Dankbarkeit einfach als das, was sie ohne weitere Hypothesen zu sein scheint: Dankbarkeit ohne Dativobjekt. Bei dieser Version gibt es niemanden, auf dessen Intention es ankommt, und niemanden, dem man verpflichtet sein kann oder müsste. Man stellt schlicht fest und führt sich vor Augen, dass es um die oder einige der wichtigen Dinge gut bestellt ist. Und wenn wir an dieses Gute in unserem Leben denken, entwickeln wir auch positive Gefühle (siehe ganz oben). Fazit: Ist Dankbarkeit für unser Wohlbefinden nun eine gute Idee? Um gemischten Gefühlen vorzubeugen, muss die Antwort wohl lauten: Es kann sein, hängt aber davon ab, was wir darunter verstehen wollen.


*Das Wort Dankbarkeit leitet sich aus dem althochdeutschen „dancbāri“ ab, was soviel wie „Geneigtheit hervorbringend“ oder „angenehm“ bedeutet (Freie Enzyklopädie der Wertvorstellungen). Dankbarkeit umfasst Kognitionen (erkennen und urteilen), Emotionen (Freude und Wohlwollen) und Sprech- oder Tathandlungen (Nisters 2012: 113). Dem deutschen Begriff stehen entsprechend gleich drei englischsprachige gegenüber: Thankfulness für das Gefühl, das bestimmte angenehme Dinge oder Situationen bei uns individuell auslösen. Appreciation für deren Anerkennung, Würdigung oder Wertschätzung. Und Gratitude für daraus folgende Handlungsweisen (Rhoads 2021: Psychiatric Medical Care). In der Forschung zu Begriff und Wirkung werden verschiedene Definitionen zugrundegelegt (vgl. Gulliford et al. 2021).



Weiterlesen?


Cicero, Marcus Tullius. Römischer Politiker (106-43 v. Chr.), aus der Rede „Pro Cn. Plancio“ (54 v. Chr.).

Freund, Henning/Lehr, Dirk (2020): Dankbarkeit in der Psychotherapie - Ressource und Herausforderung. Göttingen: Hogrefe Verlag

Gulliford, Liz/Morgan, Blaire/Kristjánsson, Kristján (2021): Jüngste Arbeiten zum Begriff der Dankbarkeit in Philosophie und Psychologie. In: Zeitschrift für Ethik und Moralphilosophie, Vol. 4, S. 169–199.

Lutherbibel 2017: https://www.bibleserver.com/search/GNB.LUT.HFA.EU/Seid%20dankbar

Mönter/Heinz/Utsch (2020): Religionssensible Psychotherapie und Psychiatrie: Basiswissen und Praxis. Kohlhammer.

Nisters, Thomas: Dankbarkeit, Würzburg 2012.

Rhoads, Susan (2021): The Difference Between Gratitude and Thankfulness. In: PMC Psychiatric Medical Care: https://www.psychmc.com/articles/difference-between-gratitude-and-thankfulness.

Thillmann, T., & Jansen, L. J. (2020). Positive Psychologie. In Gesundheit–Arbeit–Prävention (pp. 171-186). Springer, Wiesbaden.

Watkins, P. C., Woodward, K., Stone, T., & Kolts, R. L. (2003). Gratitude and happiness: Development of a measure of gratitude, and relationships with subjective well-being. "Social Behavior and Personality", 31, 431-451.



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